Tobias Gürtler

DER SCHREI

IM NAMEN DER LIEBE, DER ERBARMERIN, DER BARMHERZIGEN!

 

Eingangschoral:
ICH BIN COURAGIERT
DU BIST COURAGIERT
WIR SIND COURAGIERT
ALLE SIND COURAGIERT!

 

COURAGE, COURAGE –
ZEIG MIR DEINE NASE
ZEIGE MIR DEIN ARSCHGESICHT
WIR MACHEN JETZT DEN LADEN DICHT!

 

Berlin, den 28.06.2014

Sehr geehrtes Publikum, liebe Freunde, Geschwister des MENSCHEN,

Werdet Zeuge unserer minimalinvasiven Operation mit offenem Herzen am Wasserkopf der Kultur, für den das Festival der 48-Stunden Neukölln – spätestens seit seiner letztjährig euphemisierend „Perspektivwechsel“ benannten cerebralen Verengung – leider eine weitere von vielen symptomatischen Wucherungen in unserer durchbürokratisierten und -reglementierten Welt geworden ist und uns deshalb den äußeren Anlass für einen mutigen Eingriff liefert, der entschiedenermaßen unangemeldet erfolgt.

Denn wenn, wie von der Festivalleitung deklariert, Kunst wirklich von „Courage“ kommen soll, wird sie dann nicht durch jedes Auswahlverfahren irgendeiner Institutsjury, der von den nach Teilhabe lechzenden Künstlern nur blass-abstrakte Konzepte vorgelegt werden können, zwangsläufig verwässert, gezähmt, zur braven Maskerade degradiert und damit ihrer Substanz beraubt? Totkuratiert und Konsumentenfreundlich ihre wild-feurig glühende Lebendigkeit erstickt?

 

 
Alarm, Alarm! Die Welt steht am Abgrund! Die allgemeine Not ist zu einem akuten Fall ins bodenlose Nichts müden Amtsschimmels geworden, der sich hier in den Neukölln Arkaden blindwütig in die Arme des Kommerzes geworfen hat. Um dieser katastrophalen Entwicklung endlich Einhalt zu gebieten, sehen wir uns genötigt, hiermit das Festival – stellvertretend für die zunehmende Entmenschlichung gesellschaftlichen Zusammenlebens – aufzulösen, bevor es zu spät ist. Zu diesem Zweck öffnen wir das sinnbildliche HERZ DER WELT, führen ihm die Energie zu, die es zum Pulsieren braucht, in dem wir es feierlich illuminieren…

 

 

Freunde! Auch wenn das Festival seine äußere Form über die nächsten Jahre fortführen mag, als bloße Hülle, zu der es verkommen ist, erleben wir hier und heute, wie sein ursprünglicher Kern der Liebe freigesetzt wird, damit sich das eigentliche Anliegen wahrer, schöner und guter Kunst entfalten kann, die sich auf ganz natürliche Weise jenseits von richtig und falsch ansiedelt. Und zwar überall dort, wo es auf offene Herzen trifft, die sich nicht durch Juroren, Kuratoren und deren Mentalzwänge einsperren lassen, sondern dem Ruf der Freiheit folgen!

 

 

Schlusslied: Der König ist tot

 

 

http://tobiasguertler.wordpress.com/2014/12/29/der-schrei-2014/