Tobias Gürtler

„Gut und Böse“, Notizen zur Ausstellung in Marienmünster von Jakob Adamek

 

 

In den in der Gruppenausstellung in Marienmünster im Rahmen des westfälischen Literaturfestivals lila:we und der diesjährigen Tagung der Hillegesellschaft unter dem Motto „Gut und Böse“ gezeigten Bildern des Malers Tobias Gürtler wird das Spannungsverhältnis der Dualität von Gut und Böse, Transzendenz und Immanenz, Himmlisches und Irdisches auf symbolische Weise aufgegriffen und teils dramatisch, teils romantisch, teils ironisch in Szene gesetzt. Dabei werden gängige Zuschreibungen umgedeutet oder sogar auf den Kopf gestellt. Die immer wiederkehrende Notwendigkeit zur Herstellung neuer Sinnzusammenhänge in gesellschaftlichen Prozessen findet einen farbintensiven, malerischen Ausdruck mit gedanklicher Tiefe.

 

Ausgehend von der kunsthistorisch lange als gesichert geltenden Erkenntnis über die Gleichwertigkeit aller künstlerischen Medien, wie sie spätestens mit Robert Rauschenbergs „Combined Paintings“ ihre bildnerische Manifestation erhalten hat, verfolgen die Arbeiten Gürtlers das Bemühen, darüber hinausgehend zu einer  umfassenden Bildlichkeit vorzudringen, in der Gleichwertigkeit und Hierarchischer Aufbau zugleich zur Geltung kommen.

 

Nachdem in den 50er Jahren schließlich auch die individuelle Handschrift des Malers, exemplarisch in Rauschenbergs Performance „Erased de Kooning Drawing“ für bedeutungslos erklärt wurde und im Zuge der Pop Art jedes noch so profane Motiv zum probaten Inhalt eines Kunstwerkes werden konnte und sollte, stellt sich die Frage, inwieweit die Kunst dadurch in die Falle einer neuen Dogmatik von richtig und falsch geraten ist. Der neutrale, urteilsfreie Blick gegenüber dem Bildgegenstand war die bevorzugte Haltung, wohingegen Wertungen jedweder Art als rückständig verpönt wurden, da sie einem offenen, modernen und aufgeklärten Geist zu widersprechen schienen.

 

Zwar ist die Gleichwertigkeit als eine sehr grundlegende Ebene der Realitätswahrnehmung anzuerkennen; als Mensch und insbesondere als Künstler lassen sich Vorlieben und Abneigungen jedoch nie zur Gänze negieren bzw. ausradieren, wie Rauschenberg wünschte, solange der Körper das Instrument für den handelnden Geist in dieser dinglichen Welt ist – die nebenbei von Gürtler, der sich als der Mystik zugeneigt bezeichnet, selbst als beseelt und quasi als verdichtete Form von Energie angesehen wird.

 

Seine Kunst will dem Rechnung tragen, in dem sie Heiliges und Profanes, im weiteren Sinne also Gutes und Böses, Mythisches und Alltägliches nebeneinander ins Bild setzt und mit den dazugehörigen Bedeutungen und Zuschreibungen zu spielen beginnt. Dabei ergeben sich neue Zusammenhänge und Assoziationen, die teils den persönlichen Gedankengängen und Erfahrungswelten Gürtlers entspringen, teils jedoch auf ältere Überlieferungen und Bildtraditionen zurückgreifen und diese damit einer Umdeutung unterziehen. Es bleibt natürlich immer auch dem Betrachter selbst überlassen, sich seinen eigenen Reim auf das so gelieferte bildnerische Ausgangsmaterial zu machen. Der Dialog zwischen Bild und Betrachter und insofern  auch zwischen dem Künstler und der Welt ist dabei ein intendierter Bestandteil der künstlerischen Auseinandersetzung. Die Bildtitel geben nur kleine, oft poetisch gedachte Hinweise auf eine mögliche Deutung, wollen diese aber nie endgültig  festlegen.

 
Damit steht er der Italienischen Künstlerbewegung der Transavantgarde vom Ende der 70er Jahre nahe, überträgt deren Herangehensweise aber häufig auf die Welt der Gegenwart nach der Jahrtausendwende mit ihrer enormen Beschleunigung durch Globalisierung und Internet, ihren internationalen Migrationsbewegungen und deren Wechselwirkungen, aber immer auf seine ganz eigene, überkonfessionelle sowie interkulturelle Haltung zur Geschichte des Menschen und ihrer vielfältigen Ausdrucksformen.

Das in den Kunstdiskursen oft als überholt und altmodisch in Misskredit geratene Ideal des Schönen, des Wahren und des Guten, dem Gürtler geradezu trotzig zuzustreben gewillt ist, zeigt sich deshalb in seinen Bildern gewissermaßen auch und vor allem „jenseits von Gut und Böse“, auf einer tieferen Ebene, zu der die vielfältigen Bildmotive, die intensive Farbigkeit und die zeichnerische Schärfe hinführen und, wenn man so will,  zum empathischen Nachdenken verführen will.

 

Exemplarisch zeigt sich dies im Bild „Mr. Universe Judas“: die überlieferte Selbsttötung des Judas nach seinem Verrat am Erlöser und Menschensohn Jesus Christus wird durch die grünewald’sche Aureole zu einem heiligen Akt erhöht: Wenn sich Jesus in Erfüllung von Gottes Heilsplan stellvertretend für die Sünden der Welt geopfert und ans Kreuz nageln ließ, muss dann nicht auch Judas zugestanden werden, unabdingbares Werkzeug des göttlichen Willens gewesen zu sein? Zudem übersteigt seine dann zu vermutende Opferbereitschaft vielleicht sogar die seines Meisters, wurde doch dem Selbstmörder von kirchlicher Seite immer wieder angedroht, der ewigen Verdammnis anheimzufallen. In den Worten der Agonie am Kreuz sind Jesus und Judas Schicksalsgenossen der Verzweiflung: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“.

 

Und mit Hafis, dem von Goethe verehrten persischen Dichter, hofft der Maler Gürtler für beide, Jesus und Judas, dass sie wie der strebsame Faust erlöst werden können:

 

Oh, lenkt nicht von Hafisens Grab

die Schritte: ob sich’s auch erwiese,

Dass er voll Sünden sank hinab: 

Er geht doch ein zum Paradiese!“

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Jakob Adamek, Schriftsteller, September 2013.